Islamkunde 144 - Islam und Menschenrechte 20
Freitagsansprache vom 08. Mai 2015
von Ayatollah
Dr. Ramezani Imam und Leiter des Islamischen Zentrums Hamburg e.V.
Im Namen Allahs, des Barmherzigen, des
Allerbarmers
Aller
Lobpreis gebührt Gott, dem Erhabenen, dem Herrn aller Welten. Wir danken Ihm
für Seine Gnade und Seine Gaben und bitten Ihn um Hilfe und Rechtleitung in
allem, was wir tun, und hoffen, dass Er uns in Seine Gunst aufnimmt. Sein
Frieden und Segen sei mit unserem Propheten Muhammad, seinen reinen Nachkommen
und seinen rechtschaffenen Gefährten. O Diener Gottes, ich rate mir selbst und
Ihnen allen zur Ehrfurcht vor Gott und zum Gehorsam gegenüber Seinen Geboten.

Es erscheint
so, dass es notwendig ist, in der Allgemeinen Globalen Menschenrechtserklärung,
die Haltung des Einzelnen in Bezug auf Gott, der Welt und dem Menschen selbst
große Beachtung zu schenken – denn ohne diesen grundlegenden Dingen die erforderliche
Beachtung zu schenken, kann man keine genaue und umfassende Analyse in solch
einer Erklärung herbeiführen. In Wahrheit sind einige der Differenzen
diesbezüglich auf die verschiedenen Arten die Natur und die Identität des
Menschen zu analysieren, zurückzuführen. Beispielsweise ist im dritten Artikel
jener Menschenrechtserklärung das persönliche Recht auf Leben, Freiheit und
Sicherheit definiert, jedoch ohne jegliche Bedingung hierfür zu setzen - obwohl
an anderen Stellen der Erklärung Einschränkungen dieser Freiheit und weiteren
Aspekten erwähnt werden. Wünschenswert wäre es gewesen, dass beim
Verfassen dieser Menschenrechtsartikel präzisere Interpretationen ohne
Mehrdeutigkeit verwendet worden wären, sodass es nicht möglich wäre, dass jeder
eine eigene Auffassung und Interpretation diesbezüglich annehmen kann.
Aus diesem Grund wird deutlich, dass viele dieser definierten Artikel nicht
umfassend akzeptabel sind, da sie in der Praxisebene zu Problemstellungen
führen. Betrachtet man beispielsweise das Recht auf Leben, so definiert der
Islam das Leben nicht ausschließlich über die materielle Ebene, sondern umfasst
ebenso die spirituelle Dimension des Lebens. Ein weiterer Aspekt ist
beispielsweise die Freiheit des Einzelnen, welche im Islam auf Grundlage der
Vernunft basiert. Die vernünftige Freiheit ist jene Freiheit, die für die
Entwicklung der Menschen für niemanden zu leugnen ist. Daher ist es aus der
Sicht der islamischen Lehren so, dass der Mensch nicht frei sein kann in
Aspekten, die mit den menschlichen Prinzipien und Grundlagen wiedersprechen,
sowie dem Zustand der Menschen schaden.
Daher wurden für das Gesprochene, das Gehörte, das Gegessene, das Getrunkene,
den Arten der Beziehungen, dem Befriedigen der Gelüste und der Gewaltanwendung
gewisse Gesetze und Anordnungen definiert, welche beachtet werden müssen. Wenn
man also sagt, dass jeder Mensch frei ist, zu tun was er auch immer will,
solange er nur keinem anderen schadet – so ist das Fazit hiervon die
Zügellosigkeit des Einzelnen und nicht die Erklärung eines Menschenrechtes.
Stattdessen wird im Islam nicht nur auf die Rechte der Menschen hingewiesen und
diese erläutert, sondern auch der Rechtleitung und Entwicklung der Menschen
Beachtung geschenkt.
So widmet sich der Islam den Menschenrechten auf eine Art und Weise, in welcher
er die Gegebenheiten und menschlichen Ressourcen miteinbezieht. Der heilige
Qur’an weist hierzu im folgenden Vers auf einen wichtigen Punkt hin:
كِتابٌ أَنْزَلْناهُ إِلَيْكَ لِتُخْرِجَ
النَّاسَ مِنَ الظُّلُماتِ إِلَى النُّورِ بِإِذْنِ رَبِّهِمْ إِلى صِراطِ
الْعَزيزِ الْحَميدِ

Die Aussage ist, dass der Qur’an herabgesendet wurde, damit der Prophet (s)
gemäß seines Auftrages die Menschen zur Rechtleitung führt. Bedeutet, dass die
Menschen mit der Erlaubnis des einzig wahren Gottes, durch den Propheten (s)
aus den Dunkelheiten in das Licht geleitet werden. Somit ist die Beziehung
zwischen dem Leben, der Freiheit und der Sicherheit im Islam eine tiefe und
präzise Beziehung. Daher ist es wichtig, das Ziel und den Zweck des Lebens und
der Schöpfung richtig zu erkennen und stets dem Ende dieser diesseitigen
Existenz zu gedenken. Diesbezüglich ist es, dass der heilige Qur’an die
Menschen direkt anspricht und sie dazu aufruft die Einladung Gottes und des
Gesandten (s) zu Wahrheit anzunehmen, um ein gutes und vernünftiges Leben zu
erlangen:
يا أَيُّهَا الَّذينَ آمَنُوا اسْتَجيبُوا
لِلَّهِ وَ لِلرَّسُولِ إِذا دَعاكُمْ لِما يُحْييكُم
Dies bedeutet, dass die Freiheit des Menschen, selbst in der individuellen
Hinsicht Beschränkungen haben muss und nicht völlig bedingungs- und zügellos
sein darf.
Leider lassen einen Über- und Untertreibung bei der Wahl des Lebensweges vom
eigentlichen Weg abweichen und in einem Leben bestimmt durch Materialismus
untergehen.
Wieso wollen wir nicht verstehen, dass der Mensch eine wahrhaftige Würde
besitzt, welche nicht an die vergänglichen materiellen Dinge des Lebens
gebunden ist?
Wir dürfen uns also nicht an komplizierten Definitionen und Formulierungen
aufhalten, sondern müssen vielmehr die Gesetze und Regelungen so aufstellen,
dass der Mensch nach dem Erlangen seines Rechtes, das Gefühl von Ehre, Würde
und Entwicklung, sowohl geistlicher als auch moralischer Natur, empfindet.
Wir müssen letztendlich akzeptieren, dass der Mensch dem Unbelebten, den
Pflanzen und Tieren nicht gleicht, sondern breite Unterschiede aufweist. So hat
der Mensch seine eigene besondere Art der Vervollkommnung und Glückseligkeit,
des Lebens und der Freiheit – und alle sind gefordert, sich zu bemühen, den
Menschen diese Bedeutung zu verdeutlichen und alle Gesetze und alle anderen
Aspekte bezüglich der Menschen, im Kontext der wahren Stellung des Menschen zu
betrachten.
Hiermit wird klar, dass der Mensch – Mensch ist und nicht Sklave eines anderen,
somit darf keine Gesellschaft hervorgebracht werden, in denen Handel mit
Sklaven herrscht. Dies ist auch im vierten Artikel der Menschenrechtserklärung
erwähnt. Darüber hinaus muss beachtet werden, dass man in kriegerischen
Auseinandersetzungen zwischen Staaten, bei Personen die in Gefangenschaft
genommen werden, die Gesetze der Menschlichkeit anwenden muss und ebenso
Kindern, Frauen und Greisen kein Unrecht oder Folter antun darf – und die
Menschenwürde aller respektieren muss.
.



[1][1] Qur’an [Sure Ibrahim, Vers 1]
[2][2] Qur’an [Sure Anfal, Vers 24]